Die Bedeutung der Anlehnung
Die Bedeutung der Anlehnung und ihre Einflüsse/Auswirkung auf die Biomechanik des Pferdes
Die Anlehnung (Kopf-Hals-Position) stellt eines der wesentlichen Elemente/Bausteine beim Reiten dar. In der klassischen Reitlehre ist sie ein wesentlicher Bestandteil der Skala der Ausbildung und dennoch gehört sie zu den meist unterschätzten Einflüssen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Biomechanik des Pferdes haben.
Takt und Losgelassenheit bilden die Grundlage für einen qualitativ guten Bewegungsablauf, der durch eine korrekte Anlehnung begünstigt und durch Schwung, sowie Geraderichtung weiter gefördert und verbessert wird.
Doch was ist die korrekte Anlehnung? Wie stellt man sie her, erhält und verbessert sie?
Allzu häufig sieht man Pferde in zu hoher oder übertrieben tief beigezäumter Kopf-Hals-Position. Beides ist jedoch nicht zielführend und führt stattdessen auf Dauer zu Problemen des Rückens, des Thorax und des Halses.
Findet das lockere Durchschwingen des Pferderückens nicht mehr statt, sind Blockierungen und Taktunreinheiten vorprogrammiert. Die Pferde äußern sich oft durch Widersetzlichkeiten und Zügellahmheit. Doch Unrittigkeit ist selten Unwille der Pferde und Reiten sollte nicht zum Kraftakt werden!
Bereits die ersten Alarmsignale gilt es, ernst zu nehmen und diese als Reiter zu hinterfragen, um längerfristig Schäden der Muskulatur, Sehnen und Bänder sowie Blockierungen der Wirbelsäule und Gelenke vorzubeugen.
Als Pferdetherapeutin begegnen mir sehr häufig Pferde, die über einen langen Zeitraum mit zu viel Kraft und in falscher Aufrichtung bzw. Hals- und Kopfhaltung geritten und gearbeitet werden. Pferde sind Kompensationskünstler, sie schaffen es, über einen längeren Zeitraum Bewegungen und Abläufe anderweitig auszuführen. Die Folge sind massive Läsionen der Weichteile und Gelenke bis hin zu imitierenden Lahmheiten und Schmerzreaktionen.
Jeder Reiter hat eine Vorstellung davon, wie ein in korrekter Anlehnung gerittenes Pferd mit schwingendem Rücken aussehen soll. Doch wie ist es physiologisch richtig?
Damit das Pferd das Reitergewicht tragen kann, muss es in der Lage sein, vor allem seine Hals- und Rückenlinie (Dorsale Kette) bei gleichzeitiger Entspannung der Unterhalsmuskulatur und Kontraktion der Bauchmuskulatur (Ventrale Kette) zu dehnen. Dies ist nur möglich, solange keine Schmerzreize (Nociception) vorliegen und die Bauch-, Rücken- und Lendenmuskulatur funktionsfähig und kräftig genug ist, zu agieren. Da die Muskulatur in Gruppen bzw. Ketten arbeitet, muss man sich vor Augen führen, welche Auswirkungen eine Störung eines kleinen Anteils dieser Verkettung auf die Beweglichkeit und das Bewegungsausmaß hat.
Wird das Pferd in hoher und verkürzter Aufrichtung geritten, sodass der Winkel der Ganasche zum Hals sehr klein ist, so verliert das Nackenband seine Spannfunktion. Der Hals verkürzt sich, die Wirbelflächen werden zusammengeschoben und komprimiert.
Das Segment zwischen dem 2. und 3 Wirbel verkantet und führt zu Verkrampfungen der Muskulatur und Verspannungen der umliegenden Bänder(z.B. Ligg. Dentoatlantes). Der Thorax verliert seine Fähigkeit sich aufzuwölben, der Rücken wird nach unten gedrückt und gerät in eine Extensionsblockierung. Die Bauch- und Brustmuskulatur wird antagonistisch gehemmt bzw. gedehnt. Das Becken kann sich nicht steiler stellen, sodass die Hintergliedmaße nach hinten heraus arbeitet und nicht wie gewünscht unter den Schwerpunkt tritt. Das Pferd ist somit nicht in der Lage, ohne anatomisch Schaden zu nehmen, den Reiter zu tragen und verlagert das Gewicht auf die Vorhand!
Ebenfalls ist eine verkürzte und tiefe Halseinstellung (Rollkur) als negativ zu bewerten. Die Schleimbeutel werden dabei sehr schmerzhaft gequetscht. Hier ist besonders die schädigende Wirkung auf den 3. Und 4. Halswirbel zu erwähnen, welche anstelle des Pferdegenicks den höchsten Punkt bilden. In diesem Wirbelsegment findet normalerweise recht wenig Bewegung statt. Eine Einstellung des Halses in Beizäumungshaltung nötigt dieses Segment zu einer unnatürlichen Flexion, welche schließlich zu Verkantungen und einer Ausbildung eines „falschen Knicks des Halses“ führt. Der Hals verliert auch, wie in einer zu hohen und engen Einstellung, seine Wirkung als Hebel und Balancierstange. Auch hier gerät das Pferd auf die Vorhand. Der Rücken ist somit nicht in der Lage, sich aufzuwölben und die Hinterhand kann zur Lastaufnahme nicht unter den Schwerpunkt treten. Verspannungen, Läsionen im ISG, Muskulatur, Sehnen- und Bandapparat sind somit vorprogrammiert.
Nur ein korrekt gerittenes und trainiertes Pferd ist in der Lage, seinen Körper so zu nutzen, dass es uns schadenfrei tragen kann . Die Halswirbelsäule muss sich verlängern, um das Nackenband als Spannvorrichtung zu nutzen und den Thorax anzuheben. Diese Verlängerung kann zum einen im Vorwärts-abwärts oder in Aufrichtung stattfinden. Die Nase des Pferdes sollte dabei immer vor der Senkrechten bleiben, um somit den Winkel zwischen Ganasche und Hals zu vergrößern. Während des Vorwärts-abwärts ist darauf zu achten, dass das Pferd mit der Nase nicht „im Sand versinkt“ und den Hals zu tief hält, denn auch hier ist die Gefahr einer Vorhandlastigkeit gegeben. Je besser und freier die Vorhand funktioniert, desto besser ist das Pferd in der Lage, seine Hinterhand zu benutzen. Die Hinterhand kann nur so viel nach vorne schieben, wie die Vorhand vorne auffangen kann!
Besonderes Augenmerk sollte also auf den Rumpf und seinen Aufhängeapparat gelegt werden, da dieser für die Tragfähigkeit und die Gesundheit des Pferderückens entscheidend ist.
Er fungiert wie eine Hängematte und ein Puffersystem. Gerade in der Landungsphase z.B. nach einem Sprung wird diese Funktion deutlich. Hat der Aufhängeapparat Schaden genommen, verliert er diese Funktionen und die ganze Last landet ungedämpft auf der Vorhand. Dies führt längerfristig zu Problemen der Strukturen und der Gelenke der Gliedmaßen.
Einschränkungen bzw. Veränderung der Gliedmaßen (Muskelzug, Hufinbalancen etc.) ziehen sich nach oben weiter fort und spiegeln sich letztlich in der Wirbelsäule wieder. So wird die Verkettung von Muskulatur, Sehnen-, Bänder- und Bindegewebe deutlich, die sich durch den kompletten Pferdekörper zieht.
Die Gesunderhaltung unserer Pferde liegt in unserer Verantwortung. Kleine Fehler haben oft eine große und langfristige Wirkung. Nur wer sensibel auf die Äußerungen seines Pferdes reagiert und diese hinterfragt, kann Fehler erkennen und sie beheben!
Die Pferde werden es uns danken.
(Die Zeichnungen stellen eine schematisch vereinfachte Darstellung der Anatomie des Pferdes dar)